Sea Wanton, Pogo, Achim Wollscheid, T.poem (foto von P. Schmidt aka 'cherrypop', 1982) 
2004...band-collage von A. Türpitz aka 'Altronic Artworks' ..und Sea Wanton.
v.l.n.r.: C. Reichelt, Sea Wanton, A. Türpitz
 plakat vom 'Berlin Atonal 2 Festival', Berlin 1983

 das cover der ersten lp, 'Wanton', 1986 wanton
 A. Laaf (im 'Enzian', Berlin, ca. 2008) Hettpenger

live at the Klangbad-festival 2008

live auf dem ' Klangbad Festival 2008' (in Scheer)
line up: Achim Wollscheid, T.poem, Sea Wanton, C. Reichelt


live auf dem Wroclaw Industrial Festival 2010' (in Wroclaw, Polen)
line up: Achim Wollscheid, Sea Wanton (foto aus dem 'Alternation' - zine)

Jammin' Unit + Sea Wanton
live in der 'Liquid Sky Berlin' show (Alex-tv, Berlin), 2015


VLUS

Rebellentum der Hirngewaschenen, der Wutbürger, der Schnäppchenjäger, der Mitmacher,
wenns gegen den Gemeinsinn geht. Das Ganze zerstampft, zermahlen von monotoner oder
erregt von fauchender Gitarre, von harschen, agitativen Beats, aber auch verschönt
mit fragilen Keys oder ist es Dulcimer? Dazu rumort Elektronoise, und Wanton
schreisingt mit seiner markanten Intensität seine aufrüttelnden Deklamationen oder
flüstert seine Diagnosen. Als Waffen der Kritik nutzen die beiden ostinate Automatik
und beharrliche Loops oder die kreisende Bassspur bei Solange Du... und bringen dabei
Postpunk-Spirit und postindustriale Schärfe, Einstürzende Neubauten,
EBM und Industrial Rock zur Kernfusion.
(Bad Alchemy, July 2022)

Totmannschalter (NTL + Occupied Head), CD
Während andere spalten, führt Matthias Horn zusammen, was zusammen passt.
Zwar nur in der kleinen Welt, die Verbesserungen weniger nötig hätte als
die große. Aber immerhin. Für Totmannschalter (Exklageto 32)
fanden NON TOXIQUE LOST und OCCUPIED HEAD zueinander. Beide mit Elektronik
und Gitarre, Sea Wanton singt seine Während andere spalten, führt
Matthias Horn zusammen, was zusammen passt. Zwar nur in der kleinen Welt,
die Verbesserungen weniger nötig hätte als die große. Aber immerhin.
Für Totmannschalter (Exklageto 32) fanden NON TOXIQUE LOST und OCCUPIED HEAD
zueinander. Beide mit Elektronik und Gitarre, Sea Wanton singt seine Texte,
Dieter Mauson spielt noch Bass und steuert Fotos von Ruinen und geschlossenen
Türen bei. Das Ganze vor dem Hintergrund der Flutkatastrophe an der Ahr,
Erft und Swist, die auch Euskirchen schwer getroffen hat, als Verbeugung
vor den freiwilligen Helfern. Mein Respekt vor der Lebensleistung von NTL
ist kein Geheimnis, Mauson hat mich mit Sauerstofff, 7697 Miles
(mit Raw-C in Chile), Pulse (mit Low Rhahn in Brasilien) und, nicht nur
mit Bu.d.d.A., auf - kleine Welt - Attenuation Circuit für sich eingenommen.
Die 'Kommunikation' der beiden entfremdungssensiblen, resonanzaffinen Köpfe
zeitigte Musik, deren postindustrial engagierter Impetus nichts zu wünschen
übrig lässt, wenn einem Sea Wanton da gleich mal zu paukenden und zuckenden
Beats mit dem geraunten 'Relai Dai' einen kryptischen Brocken an den Kopf wirft.
Der 'Firmamentenblick' fällt so gar nicht auf Vorzeichen einer neuen Welt,
nein, ringsum nur Risikogebiete und deren 'Mühselige Überquerung' zu
daueralarmiertem Tamtam und elektronischen Gespinsten. Krieg der Frösche, Vögel
zwitschern sich den Schädel weg, der brüchige Klanghorizont wird von
melancholischen Dröhn- und Basswellen auf Distanz gehalten. Wo bleibt das
Wunderbare, wie einst das imaginäre Afrika mit Geparden? Doch: Selbst wenn
sie in die Vergangenheit eintauchen könnten, gibt es keine Garantie dafür,
dass Sie nur das Wunderbare sehen werden. Statt dessen: Baustellen, Abbruch,
soziale, mentale Klüfte, hier wir, die was verändern wollen, dort sie, die
sich ans Alte klammern. Friedhofsruhe. Totentanz in Zeitlupe.
Da: 'Die Todes­insel' - viele sind vergraben / ausgerichtet hin zum Meer /
viele sind versteinert / weinen hin zum Meer... Warum? Mensch ist kalt /
Land ist unter / Gier vorbei / überflutet auch / der letzte Turm. Was für
ein Darkwave-Blues, aber mit Breakbeats, glissandierender Schärfe, bös
furzenden Störimpulsen. Wanton sagt zum Abschied nicht mal 'Servus' /
weil alles / ist wie Lüge, zu knochenkahlem Klingklang und surrendem
Red-Queen-Effect, ohne Griff nach der Notbremse, ohne Totmannschalter... (aus: Bad Alchemy 112/2021)

Non Toxique Lost, Bad Alchemy 99/2018

Non Toxique Lost / Hic Rhodos - Hic Salta (Berlin)
Ja, Sea Wanton hat mit mir leichtes Spiel, sein eindringlicher Schreigesang, der unerbittliche,
eiskalte Maschinenbeat von NON TOXIQUE LOSTs BerliNoir-Sound, das trifft bei mir
den Nerv wie einst Mark Stewart & The Maffia, Einstürzende Neubauten, Laibach... Wie
eben Musik, der die Welt noch unter den Nägeln brennt. Gegen den Trend zur Abstraktion,
Minimalisierung und selbstbezüglichen Neutralität. Dabei kann gern die Sprache so außer
sich geraten, dass Sätze durchschlagen wie Die Rehe tanzen verkehrt herum. Die Rehe
tanzen verkehrt. So bei 'Tränensammler' auf Träneninvasion (2014, USB-pen Visacard), wo
er fragt: Hast du die Tränen gesammelt, die die Mütter vergossen haben, als du ihre Kinder
erschlagen hast? Iwan... Wobei das Verkehrte dabei der verschwiegene Wind zum geernteten
Sturm ist. 'Schwarze Mamba' bringt schwarzes Fieber, keine neuen Wege. Und das
'Sonnenlied' geht so: Singt weiter vom gelobten Land singt weiter von ihren Herrschern
singt weiter von Untertan singt weiter von der Sonne weiter von kling und klang... 'Störfaktor
Mensch' reimt empört auf verstört, weil jeder stört, dem nix gehört und der hier
nicht hingehört. Doch es gibt auch Romantik und die klingt und singt bei NTL so: ...aus den
Nebeln steigt zum Horizont was wir gefühlt und dann verloren haben / Das Auge streitet
wenn der Mund noch lacht / wir sind uns auf den Wegen fremd geworden / und es kommt
die nächste kalte Nacht. So dass jeder für sich und jeder gegen jeden - existentialistisch -
taumelt zwischen Wahrheit und Lüge, zwischen Wahn und Wirklichkeit, als Zombies im
Wunderland, dessen Grenzen mit Natodraht dicht gemacht werden. Um letztlich zu stürzen,
den Würmern zur Speise. Lustig das Ganze, nicht wahr? Sea Wanton singt wie einer,
dem es an den Kragen geht, und gerade das macht NTL zum säureblutigen, agitativen
Brainfuck, bei dessen Beats die Fetzen fliegen, wenn sie nicht ganz zum Teufel gehen.
Auf TransientTeutonicChic (2016, 15xFile) übten Sea Wanton an Synthesizers + Vocals &
Jammin' Unit (Cem Oral) an Guitars + Electronic Effects Stoff, mit dem sie dann auch live
die 'Liquid Sky Berlin' show #48 (broadcasted by 'Alex-tv', Berlin) beschallten, zu hören als
...like a kiss or a visit from extra terrestrials. xox dr w (2016, Digital Album). Neben
'Schwarze Mamba', 'Sonnenlied', 'Störfaktor Mensch', 'Sam 41643' und 'Achtung' (mit
Gitarrengefetze von Achim Wollscheid) sind daher 'Digitalisiert', 'Zwei Träume', 'Alle sind
wahr' und 'Ein Gott ist immer dabei' der Zündstoff, um Feuer unter die Ärsche zu machen.
Und dazu könnten die beiden auch noch 'Grade stehn', 'Neuda', 'Tanz um den Mondkrater',
'Welt aus Stahl' oder 'Gesichter' als Öl ins Feuer gießen. Der Rauschfaktor ist freilich
schon hoch, und der Beat so knochentrocken, dass er fast von alleine Feuer fängt. Sea
Wanton stöhnt delirant über die göttliche Präsenz, die sich in 4/4 durch die Welt stanzt, er
steht lieber gerade für einen Nie-Nie-Nie-hilismus. Der Tod ist mein Mädchen, singt er zu
Orals Psychedelikgitarre, die sich im Noiserausch von 'Neuda' gummiartig windet und am
eigenen Stakkoato berauscht. So wie sich NTL nun an Tempo berauscht, in der
kriegerischen und stählernen Welt, die die Beine müde und allen Kokolores wahr macht,
der uns in die Gesichter geschrieben ist. Zur Verleihung des Bambi im Fernsehen kamen Sea Wanton 'Who Killed Bambi?' von den Sex Pistols, die Roland, Wiesel, Marder, Phantom-Zeile aus dem Mittagspause-Song 'Ernstfall' und 'Gaucks Thierleben' in den Sinn, ein Bild von Kai Pohl ("Die Bad Bank der deutschsprachigen Lyrik", "Androidenballett"), das ein Sortiment deutscher Waffenproduktion als tierische Exportschlager zeigt. Daher Puma Marder Bambi (2017, Digital Album), das im Wesentlichen, nämlich zu 49 ½ Min., aus dem geschwind zuckelnden und silbrig behämmerten Groovemonster 'zgdg' besteht. Wobei der Beat in dieser 'self-perpetuating insanity'
zwischendurch zurücksteht für eine Litanei dessen, wovon nicht die Rede ist. Als Ecksätze
gibt es dazu '16' und 'Sinnvoll leben' und eine weitere Version von 'Ein Gott ist immer dabei'.
Ein letztes Mal mit Artwork von T.Poem, der bald darauf gestorben ist. Sinnvoll leben,
sinnvoll schlafen, sinnvoll sterben? Vielleicht hatte Ernst Jünger ja recht: Je nutzloser,
desto sinnvoller. Und besser verkehrt getanzt, als sinnvoll gestorben. Tanz und Flow bis
zur Trance helfen vergessen, der Kick rutscht vom Soll ins Haben. Auf Nur noch eine Sekunde bis (2017, 14xFile) sind Songs kompiliert, die nicht zum ersten Mal zu hören sind: 'Volksmund spricht' (Böse Menschen haben keine Lieder), 'München um 6'. Aber dazu auch 'Schöne neue Welt', 'Rote Rosen', 'Lange Nächte', 'Schenkt ihnen nichts', 'Immer nur Alltag', 'Kapitalflucht', 'Kosmos', 'Die Welt ist Stern' und das 'Schmidt- Lied' mit Poesie von Kurt Schwitters. Sea Wanton spuckt seine schlagkräftigen Parolen zu Lo-Fi-Mulm, verrauschter Powerelektronik und Dampframmenbeat, heiser erregt und wie gewürgt von der heißkalten Dringlichkeit. Die Rosen überreicht er zu noiseverschleiertem Piano, dabei hat er in seiner Negation der Negation nichts zu verschenken außer sich überschlagende Rhythmik und eine einsame Gitarre vorm Immersoweiter des kosmischen
Abgrunds, auf der Suche nach einem Heimatgefühl. Die Sterne hat sich Mercedes gepflückt,
uns bleibt nur ein Schneeball, flüchtig wie das Kapital und ebenso schmutzig. Uns
bleibt von Geburt an nichts als Alltag, sogar die Computer singen das wie Gebetsmühlen,
die Tage reihen sich in wabernden Kaskaden, die langen Nächte stampfen dahin wie Besatzungstruppen. Doch wer wetzt dazu die langen Messer, in Paris, in Rom, in Berlin? Ich
höre nur eine Spacewärtsgitarre und eine Wummerwelle, und Sea Wanton singt mit
Schwitters: Wir funken bis zum Untergang / Ins Weltall kilometerlang / Und bis in die Unendlichkeit,
/ Erfährt man jede Neuigkeit. Zuletzt bei 'slf' klopft der Beat vorwärts, aber der Noise schleift und stürzt rückwärts, Sea Wanton besingt Stadt, Land, Fluss und Euromärchen. Doch wer will die noch hören? 'Nachts träumt man gelb', 'Vorverstärker', 'Larry Who' und alles andere auf Verschmorte
Rinde (2017, 13xFile) kam mit Hilfe von C. Reichelt (sequencer) und A. 'Hettpenger' Laaf
(rhythm tracks) zustande. Dem Groove sitzt ein gelber Klang im Nacken. Sea Wanton lässt
wie Rammsteins Frontmann die Rs in 'Vorverstärker' rollen und die Ks in Larry Whos
Blickkontakt knacken und erzielt grotesken Effekt mit dem Kontrast seiner Emphase zum
sachlich banalen Text. Ähnlich wie mit dem feierlichen Pochbeat von 'Raum 16' und dem
Höllenlärm drumrum. 'Der Die Das' Bier Fritz Kraut Prost Fräu-lein Ein-stein Schnit-zel
Blitz-krieg Brat-wurst Deutsch-Mark ist ein Powwow zum Headbangen, das furzende
'Drahthaar / Drittelzeit' visioniert zum Ölfassbeat Krieg, Panzer, einen toten Fallschirmspringer.
Doch bei NTL zählt auch das Wie. Die Worte können untergehen, aber die
Warnung kommt an, dass man schnell im Gefängnis landet, ob man nun dasitzt und schreit,
oder sich in Bewegung setzt. Bei 'Burnt out' wird man durchgewalkt, Sea Wanton schreit
und stampft als pyromanischer Troll: Speicher leer, Seele verbrannt. Kein Schmiedehammer
kann Menschmaschinen 'menschenähnlich' hämmern, dabei ist er ein 'Hrdlicka'
des Beats. Hört denn sonst keiner die Schreie der Toten im Stein?
Doch die Toten und die Dinge des Lebens sind schwer zu verstehen. Auf Medialunas
(2017, 13xFile) irrt man mit Nummer 6 umher und droht, die Sprache, die Erinnerung und
sich selbst zu verlieren. Kann nur ein Gott da was retten? Lässt sich der 'Kapitalflucht'
begegnen durch 'Die Produktion von Egalität', wo es wie der Zwerg im Red Room lallt?
Nicht vom Hunger nach Gleichheit, sondern von der Gier nach Gleichgültigkeit - egal gebt
mir nur statt Licht die Lüge – egal gebt mir nur von allem mehr!? Mit Schmuseteddy
getröstet, dass man nur 'Viel von nichts' hat und nichts daran ändern kann? Wo ist Cosmo
geblieben? Die 'Tempelmusik 1' rauscht und zittert (ad nauseam) um die große Leere und
das große Labern. Sie treten das Menetekel mit Füßen und nennen es Tanzen.
ENZ ROUGE (2017, Klanggalerie) lässt den blassen Mond über der HuxleyOrwellWelt
aufgehen mit einem Best-of-NTL: 'Wahr sind die Erinnerungen', 'Amerika / Europa', 'Dirndlstrich',
'Neues Deutschland Lied' und 'Ritos y Danzas' (von "Reichstag lange nicht
gebrannt", 2006) und 'Menschenähnlich', 'Burnt out', 'Raum 16', 'Drahthaar / Drittelzeit'
(von "Verschmorte Rinde", Letztere zuvor auch schon, live beim Klangbad-Festival in
Scheer 2008, auf "Z.O.R.N."). Dazu 'Kein Selbstmord im Kölner Dom', das alte 'Ich warte',
'Klein Klaidurke' (ein tschechisches Gefangenenlager nach dem II. Weltkrieg) und 'Orwells
Welt', wo sich zwischen Capri und Kuba Leichen in Bagdad stapeln. Komm zurück... zur
Schokoladenseite dieser Welt / komm zurück komm zurück yeah.

BerliN aTonaL 2016, CD, Bad Alchemy 90/2016
Überrascht von der faktizität der absurden ereignisse staune ich die welt an reiße auf die augen
wasche mir die ohren renne was ich kann schreie dir ins leben damit auch du den mund öffnest!!!

 'Non Toxique Lost'
Wir erinnern uns, 2012 - BA 73 - NTL steuerte dazu "ZeitRast LeTempsPasseViteTimeFlies" bei mit starken Argumenten für die Produktion von Egalität und gegen das Nichtwissenwollen. Dem folgte 2013 "Aphasie" (Klanggalerie, gg186, CDr) mit 10 neuen Songs von T.Poem + Sea Wanton, die wieder nicht viele Worte brauchen, um das Wesentliche zu sagen über Hirnwäsche, Märchenonkel, Gebetsmühlen. Als Sprachrohr von Sprachlosen. Mit "Träneninvasion" (Hic Rhodos - Hic Salta, usb memory card) aktualisierte NTL 2014 ein Wort von Holger Hiller, das 1980 auf einer Welt-Rekord 7" geschrieben stand. Es erklingt eine 'Letzte Warnung' an den 'Störfaktor Mensch' und bei 'Achtung' die Gitarre von Achim Wollscheid. Gleichzeitig erschien mit "En Face De La Raw" (Hic Rhodos - Hic Salta, CDr) einRückgriff auf NTLs Greatest Hits der frühen 80er, die live beim Berlin Atonal Festival 1983 Furore gemacht hatten und den Grundstock bilden für "Pourquoi De Paix?" (Can-Can, C-60, 1983) ebenso wie für"Terre Et Argent" (Wachsender Prozess, LP, 2004): 'Ga Leschi Gambi', 'Mit Rita über die Gleise', 'Wer keinen Schmerz mehr spürt', 'Kriegstanz', 'Ich treffe Pee' etc. Seit 1.1.2016 tümpelt "TransientTeutonicChic" (Hic Rhodos - Hic Salta, file) als hochprozentige digitale Flaschenpost auf Bandcamp, mit dem 'Tanz um den Mondkrater' und der Botschaft: ein gott ist immer dabei immer-immer-immer dabei hab' nichts verloren hab's nur vergessen nur vergessen ging einfach unter war fast vergessen verloren will was von haben ja ich will was von haben von unserm neuen paradies und ein gott ist immer dabei immer-immer-immer... dabei. Anders als etwa Martin Lichtmesz mit seinem "Kann nur ein Gott uns retten?" (2014) und seinen Antaios-gläubigen Kameraden, die voller Identitätsphantasmen und Ressentiments gegen die Luftmenschen predigen, hält NTL trotz ähnlich apokalyptischer Vorzeichen - natodraht an grenzen und sekt in bunkern lügner betrüger schmarotzer - nichts von "feet of mud", von Mutters Rockzipfel, von Väter Sitte, den alten Liedern: das mach' ich nie ich machs nie nie nie links und rechts und auf den beinen grade stehn... singt weiter von hallelujah singt weiter vom gelobten land singt weiter von ihren herrschern singt weiter von untertan singt weiter von der sonne singt weiter von kling undklang...kling und klang... Das scheint mir textlich verwandter mit Erik Mälzner und gedanklich kompatibler mit Slavoj Zizeks ‚befreiungstheologischer' Notwendigkeit, Väter und Mütter zu verlassen und angesichts des Rätsels des Anderen neu anzufangen. In zerrissener, unbestimmter Bestimmtheit und dringlicher Emphase: Wenn die seele brennt und dann der hunger kommt und dann die sehnsucht wächst und dann der wille drängt nach einem besseren leben für wen? von was? zu wem? ... wenn die seele brennt… selbst wenn's mein ganzes leben kostet kann das doch nicht alles so sein das kann doch nicht so sein... so bleiben!!! Ich habe am fauchenden Gesang von Sea Wanton einen Narren gefressen und halte seine Stimme für eine der eindringlichsten in unsrer 'Welt aus Stahl'. Daher die Idee einer erneuten Kollaboration. Gesagt, getan: "BerliN aTonaL 2016 Les fins du monde" liegt für die Abonnenten der BA 90 bei. Mit Cem Oral aka Jammin' Unit (elektronische effekte), Gerd Neumann aka Sea Wanton (synthesizer + gesang) & Christian Reichelt (sound effekte). Mit Scherbenmund in der Narbenstadt nicht weniger Berlin Noir als die Einstürzenden Neubauten oder Alec Empire, nur ohne Allüren.


 
'mit rita über die gleise' und 'kein selbstmord im kölner dom', Berlin, 2003

Die Musik gilt zu unterteilen bzgl. Mitteilung der Songs durch die Texte, Gesangseinsätze und die Wahl der Instrumente. Der Rhythmus wirkt kontinuierlich harmonisch, trotz der Disharmonie. In den Songs spiegelt sich: Schmerz, Verzweiflung, Aggressivität, Wahnsinn, Angst, Wut, Aussichtslosigkeit, Tod, Sehnsucht, Sadismus, Demütigung und Erniedrigung, d.h., keine Melancholie oder gar Selbstmitleid. Teilweise vernichtend und irre, sowie ein gewisser Fanatismus ist festzustellen. Es ist die Suche nach etwas, das fremdbestimmt ist, tief verankert ist. Ein Seelen-Schrei nach Befreiung. Eine Komponente dieser ist die Liebe. Untergrund, d.h. , und der Tod, Chaos, Militärlaute. Sehnsucht nach Auflösung. Zugfahrt ist Abfahrt. Zielsuche, d.h., new day, new love, new way. Der Einsatz des Xylophons (im Lied "mit rita über die gleise") erklingt weich und warm, sowie mystisch, doch sehr schöner Einsatz, chinesischer Laute, Instrumente. Das Lied "kein selbstmord im kölner dom" ist konfus, chaotisch und erschreckend. Eingesperrt, zerbrochen, die Seele zu zerbrechen unter Zwang, Schmerz und Schlägen abzuliefern auf der Müllhalde wie Dreck, Schmutz, Abschaum, ist ein Gefühl was ich kenne. Kindheit und Eltern. Ein Bild dazu: die Farben sind nicht unbedingt leuchtend, jedoch ist da der grüne Weg, das Herz, die Sonne oben links und die Unendlichkeit aus Erde und Blut.

Non Toxique Lost - Chrrroooooom!, CD, 'Club Debil'

'Non Toxique Lost' gehört zu den Pionieren der deutschen Industrial-Szene. Das erste Album des Kollektivs erschien bereits 1983. Die vorliegende CD "Chrrroooooom!" ist eine Art "Best Of" mit Titeln von sechs verschiedenen Tapes "Made on Cuba", "NTL", Rekonstruktionen", "Tavo Ctas Esna","Ware 11" und "Wladiwostok 111984" - der größte Teil der Alben von NTL erschien auf diesem Medium. Vielleicht ist dies auch einer der Gründe dafür, dass die Band weitestgehend in Vergessenheit geraten ist. Bis zu ihrem Auftritt beim 2010er Wroclaw Industrial Festival sagt mir die Band überhaupt nichts, hatte ich auch noch nie von ihnen gehört. Dabei sollten gerade Freunde älterer Werke der Einstürzenden Neubauten oder auch von Throbbing Gristle dem Sound einiges abgewinnen können: Seltsame, geschriene Vocals und intellektuelle Texte, kleine, schräge Computermelodien und wirre Klanglandschaften, Loops und synthesizersounds, monotone metallische und elektronische Rhythmen...typische industrielle wölf Stücke auf jeden Fall. "Chrrroooooom!" ist keine leichte Kost aber definitiv Pflichtprogramm für Old School-Industrialfans und solche, die es werden wollen.

Reichstag lange nicht gebrannt, CD, 'Bad Alchemy 52/2006
Reichstag lange nicht gebrannt

'Non Toxique Lost' Reichstag lange nicht gebrannt (Hic Rhodos - Hic Salta, CD-R):
Warum von einer Veröffentlichung sprechen, die, auf 69 Exemplare limitiert, längst schon vergriffen ist? Weil es noch genug andere Möglichkeiten gibt, sich der Musik von NTLzu stellen, transportiert von den CDs /bin/med/usa und siga siga (Dossier) oder den LPs ogre-sse (VOD) und terre et argent (Wachsender Prozess). Die 18 Reichstag-Songs entstanden in der Besetzung A. "Hettpenger" Laaf & A. Türpitz (electronics, drum machines, effects) und Sea Wanton (vocals, effects) und sie zerren und reißen an Herz und Hirn mit Attacken wie ‚Amerika / Europa‘ oder ‚ Armut und Kindersoldaten‘ und mit bösen Erinnerungen wie die an das Herero-Massaker 1904. Attacken, wie sie kaum eine andere deutsche Formation je so krass vortragen konnte wie NTL, um dabei in Wunden zu stoßen, die stinken wie ‚Verdorbenes Fleisch‘. Für‘s Feuilleton wäre NTL eine Schnittmenge aus den Einstürzenden Neubauten, DAF und Liaisons Dangereuses. Schreigesang, gehämmerte Stakkatobeats, giftige Noisewolken und von deutscher Geschichte überstäubte Samples bestimmen eine Ästhetik, die sich ihrer Wurzeln in der Undeutsche Härte der Jahren 1982-85 nicht zu schämen braucht. Es dürfte allerdings fraglich sein, ob dem Biedermeierzeitgeist von Heute die Dringlichkeit solcher Aggressivität auch nur annähernd begreiflich zu machen ist. NTL versucht aber wenigsten, gegen eine Blauäugigkeit und Indolenz anzustinken, die sich weder durch TV-Kriegs- und Katastrophenbilder in Alpträume stürzen lassen, noch durch ökologischen Raubbau, limitierte Energiequellen oder schwindende Jobperspektiven. Sehen so Sieger aus? Flink wie Schnäppchenjäger bei
MediaMarkt, hart wie die Deutsche Bank, zäh wie gegrillter Windhund? Sind die NTL-Songs ‚signales perdues‘, die allenfalls als EBM-vorläuferisch und schlimmerenfalls als Teenage-Atari-Riot-epigonal durchgewinkt werden, um sich lieber von einem Rap-Großmaul vermeintlich brisante und authentische Sozialfrontberichterstattung diktieren zu lassen? Oder, schlimmer noch,
nostalgisch von Verschwende-Deine-Jugend-Erinnerungen zu schwadronieren? Bereicherung, Plünderung, Profit, warum fällt es so schwer, solche Diagnosen wieder so wie Sea Wanton in den Mund zu nehmen, dass die Verachtung mit anklingt, den die ‚ Beutejäger‘ und ihre Anbeter verdienen?
............

ohne titel, compact cassette, 'MAGAZINE 2, 1982

die gruppe 'Non Toxique Lost' (auf deutsch: ungiftiges kampfgas), kurz NTL, kommt aus Mainz und besteht seit 1982, wo auch G. Neumann (bekannt als GEN 82) die elektronik bedient. Ihre musik baut hauptsächlich auf schnelle, mal hektische, aber manchmal kriechende, monotone, rhythmische sequenzerläufe auf (monoton in diesem fall nicht negativ), darüber eine unkonventionelle e-gitarre, immer wiederholend, und elektronische klänge/geräusche, mal eine melodie, mal atmosphäre, mal krach. in diesen sound bricht ein verrückt klingender sänger, mehr sprechend als singend, ein. trägt
schreiend, beschwörend, auch mal nüchtern, interessante texte in hauptsächlich deutsch vor. das ganze klingt sehr energiegeladen, aggressiv oder wie es GEN 82 beschreibt: "schnellebige rhythmen, geräuschfetzen, klirrende gitarren und herausforderender sprechgesang" ... keine klangliche übertreibung  ...für mich sind 'Non Toxique Lost' eine hervorragende und interessante gruppe. vergleichbares in deutschland (und rest der welt ?) kenne ich nicht. besonders zu empfehlen ist die erste cassette von NTL ("OHNE TITEL", c-20), die musik wie beschrieben, mit einer interessanten cover-graphik. aber auch alle anderen cassetten von NTL sind nicht "schlecht", bzw hörenswert, sicherlich für alle interessant, die diese art von musik mögen.

/bin/med/usa, CD, 'auf abwegen', Nr. 35, 2005
/bin/med/usa
 Nicht immer ist die Entwicklung der Technik für Musiker ein Segen, wie das Beispiel NTL zeigt. Die aktuellen beiden CDs arbeiten nämlich vordergründig mit Sequenzern und haben größtenteils den Charme des Frühwerks verloren. Was bei NTL immer noch fabelhaft klingt, sind die selstsamen, in den Gesamtsound eingeschraubten Lyrics. Aber die allzu bemühten,aufpeitschenden Beats übertünchen doch viel an Atmosphäre. Auf Vinyl klingt die Gruppe wesentlich chaotischer und krimskramsiger. Ogre S se versammelt einige Liveaufnahmen, u.a. vom legendären Atonal Festival in Berlin. Terre et Argent hat frühe Studiotakes parat, die eine skurril schimmernde Mischung aus Cold-Minimal-Beats und archaischem Getrommel sowie kratzelnden Gitarren darstellen. Verschwende deine Jugend, auch du, Achim. Hier erstrahlen NTL als die Fürsprecher einer emanzipatorischen
Haltung - gerade auch im Untergrund. Wir sind zufrieden...


/bin/med/usa, CD, 2003

Raumpatrouille XV 3: Wir empfangen undeutliche Signale vom Planeten Erde. Der Absender heisst 'Non Toxique Lost' (NTL). Das klingt nach einer giftigen Zusammensetzung einiger Erdlinge. Ihr digitales Werk nennt sich "/bin/med/usa". Die Geräusche sind schwer zu koordinieren. Sie klingen sehr massiv, aufreibend und eigenwillig. Ebenfalls sind vokale Laute eines energischen Subjekts auszumachen. Wahrscheinlich handelt es sich um verschlüsselte Botschaften. Eine davon heisst: "In Buchenwald wächst das Kraut des Vergessens". Ich habe die Mitteilung bereits an unsere Försterei-Analytik-Einheit weitergeleitet. Jetzt wissen wir, warum die Menschenherrscher so gern Kraut rauchen. Zwischen den Botschaften gibt es immer wieder hoch frequentierte Störgeräusche.
Zudem benutzt der Erdling ein schwaches Mikrofon, so dass er immer wieder schreien muss.
Trotzdem wollen wir die 50 Minuten nach Erdrechnung zu ende hören. Denn mittlerweile haben wir an der skurrilen Mischung aus synthetischen Klängen und martialischem Gesang Gefallen gefunden.
Der Erdling gibt uns weitere Informationen: "Tausend Lügen = 2000 Augen". - darin scheinen uns die Menschen überlegen zu sein. Vielleicht können wir doch noch was von diesem sonderbaren Volk lernen. Wir nehmen Kurs auf den blauen Planeten. Eben ereilt uns eine neue Mitteilung: "Fade away, can't stay". Wir drehen ab, ist vielleicht auch besser so.

/bin/med/usa, CD, 'MEDIENKONVERTER'

Die Berliner Formation NTL existiert bereits seit ungefähr 25 Jahren und zählt mit ihrer politischen, elektronischen, experimentellen Musik als lebende Legende, die mit Bin Med Usa ihr neustes Release, nach "Siga, Siga", feiern. Das ehemalige Quartett ist zwischenzeitlich zu einem Trio
zusammengeschrumpft, sodass NTL momentan aus dem Vocalisten Sea Wanton, C. Reichelt und A. Türpitz (beide; Synthesizers, Drum, Effects) besteht.

Zu Dritt haben sie an neuen elektronischen Sounds gearbeitet, von denen Bin Med Usa sechzehn Tracks zu bieten hat. Gleich zu Beginn schallt einem die "Adresse:Boese"- Parole entgegen: Schwarz-Weiß-Rot, dass ist wie tot! Assoziiere ich so ziemlich mit den Rechten, macht die CD auch gleich sympathischer und aufmerksamer macht's mich obendrein. Feststellen muss ich dann allerdings, dass NTL schwer zugänglich und schwer verdaulich ist. Zum Beispiel "bin/med/usa I", ist nicht nur experimentell, sondern hört sich auch sehr verworren an, wobei die Musik nicht einmal schnell ist. "Die Schneekönigin" schließt sich da an, wobei man hier noch Gitarren-Elemente hat.
"Uno Momento Por Favor" weist melodische Züge und eine feste Struktur vor, wird begleitet von kurzen und schnellen Vocals. "2000 Augen" klingt nicht nur schizophren, sondern arbeitet auch mit einer düsteren, drückenden Atmosphäre, einer scharfen Electronic und einem bohrenden Sound. Dann gibt es mit "Buchenwald" wieder eine enorm politische Orientierung: "In Buchenwald wächst das Kraut des Vergessens", wobei der Sound angemessen aggressiv verläuft. Mit "Fade Away" kommt eine kleine, aber angebrachte Wende. Melodische und rhythmische Strukturen, angenehm, entspannter und einladender Sound. Eine Erholung nach den ganzen harten Elektrobeats und Industrial-Elementen. Nach dem Break geht es aber wie gehabt weiter; dumpfer Sound, Echo-Elemente, kurze Spielzeit. Noch mit nennenswert ist "Wendy", wobei Sea Wanton schon eingangs erwähnt "..seltsam, seltsam.."

Ehrlich gesagt, weiß ich nicht was ich von dem 'Non Toxique Lost' Album halten soll. Die Produktion ist gut, Monotonie ist ebenfalls kein Thema und der Sound ist absolut nicht vergleichbar mit dem was es momentan an Übermaß gibt. Wahrscheinlich habe ich den Sinn dahinter nur nicht verstanden, jedenfalls ist Bin Med Usa ein wirkliches Belastungstraining. Wer sich selbst davon überzeugen möchte.. Nur zu.

/bin/med/usa, CD, 2004
Faktische Abrechnung mit dem Unausweichlichen (die neue cd heisst "/bin/med/usa")

So muß es sich anhören, wenn Klaus Kinski mit den Einstürzenden Neubauten, Prodigy und Björk einen trinken geht. 'Non Toxique Lost' kriegen eine gnadenlose Symbiose aus netten, groovigen Beats, brachialen Lauten und kryptischen Klängen hin, die durchweg die gequälte, theatralische und zerreibende Stimme des Erzählers/Sängers zu übertönen scheinen. Maschine besiegt Mensch. Die Atmosphäre gleicht dem Hinabsteigen in einen Folterkeller, aus dem einem Techno-Beats entgegenwummern. Angelockt von der guten Musik öffnet man die Tür und entdeckt ein Bild des Grauens. Die Texte handeln von Wut, krankhafter Leidenschaft, und Resignation, ohne dabei selbstmitleidig zu wirken. Es werden einfach die nackten, unbarmherzigen Fakten dargestellt, ohne eine Lösung anzubieten, wie man aus dem dreckigen Sumpf auftauchen kann. Fazit: die Welt ist hart, die Menschen kaputt und das Leben voller Feindseligkeit. 'Non Toxique Lost' locken den Hörer mit netten Chill-out-Rhythmen, die sich dann zu einem beklemmenden Alptraum entwickeln. Trotzdem
ist "/bin/med/usa" im Vergleich zu den vorherigen Alben von 'Non Toxique Lost' um vieles eingängiger, was auch daran liegen mag, daß die Songs deutlich kürzer sind. Die Palette reicht
von aggressiv und wutverzerrt ("everybody’s darling") zu entspannt und lässig ("uno momento por favor") bis hin zu humorvoll und verspielt ("wendy"). In ("schlechte wahl") finden sich Anklänge an frühe Depeche Mode Songs. Die düster poetischen Texte stehen teilweise in krassem Gegensatz zu den lockeren, tanzbaren Rhythmen; weiche Instrumente (z.B. das Didgeridoo in ("uno momento por favor")) werden mit harten, oft Neubauten-mäßigen Sounds verschmolzen. Es ist absolut lohnenswert sich "/bin/med/usa" immer - und immer wieder anzuhören!
 
/bin/med/usa, CD, 'Evolver'

 Stil ist irrelevant
Eine wiederauferstandene deutsche Kultband zeigt den Jungspunden, wo der Bartel den Most herholt.
Diesmal nicht nur auf Kassette.
'Non Toxique Lost' wurden 1980 von vier bereits aktiven Musikern in Berlin (wo sonst?) gegründet.
Sea Wanton, Achim Wollscheid und S. Schütze treffen auf einen Punk namens Pogo, der bei einem
Throbbing-Gristle-Konzert deren Sänger Genesis P-Orridge das Mikro entreißt und "You need discipline" hineinschreit. Wie so viele andere rufen auch sie mit einer gehörigen Portion DIY-Ästhetik ein Kassettenlabel ins Leben und beginnen, erste eigene Aufnahmen herauszubringen.
Das Wort "Lost" aus dem Bandnamen entstammt übrigens nicht vom englischen Begriff für "verloren", sondern bezieht sich auf ein Giftgas, das von den Deutschen im Ersten Weltkrieg verwendet wurde. Von Anfang an sehen sich NTL als politische, experimentell-elektronische Band mit der Maxime "Stil ist irrelevant". In ihrer ersten Aktivitätsphase erscheint nur ein Vinyltonträger, alles andere Material verstreut sich auf heute völlig unauffindbare Kassetten. Die Platte übrigens erschien damals ebenso nur in eine Auflage von genau 100 Stück, Suchen ist also so gut wie zwecklos. Seit kurzer Zeit sind NTL wieder aktiv - und zwar aktiver als je zuvor. Auf den deutschen
Labels Vinyl-on-Demand und Wachsender Prozess kamen vor kurzem zwei LPs mit Archivmaterial
heraus, und auch eine CD namens "Siga Siga" ist seit einiger Zeit erhältlich. Am erfreulichsten aber
ist die Tatsache, daß die Band auch neues Material produziert, und dieses ist auf der eben
erschienenen CD "Bin/Med/USA" zu hören. Darauf präsentieren 'Non Toxique Lost' eine unwahrscheinliche Fülle elektronischer Sounds. Von brutalen Elektrobeats über 80er-lastige Industrial-Collagen bis hin zu fast poppig anmutenden Kraftwerk-Sounds ist auf dem Album alles vertreten. Natürlich fehlt auch heute nicht das politische Statement (siehe Titel) und die Kritik an der Geschichte wie auch Gegenwart des eigenen Landes ist nicht zu überhören. "In Buchenwald wächst das Grauen des Vergessens", intoniert Sea Wanton auf der gleichnamigen Nummer. "Ich bin verloren, bin vergessen", eine andere Textzeile, erinnert an die Neubauten und den Berliner Pessimismus der frühen Achtziger Jahre. Alles in allem bietet "Bin/Med/USA" eine erstaunliche Bandbreite elektronischer Klänge von damals bis heute. Es ist rhythmischer als ältere Aufnahmen der Band, ohne jedoch nur nach 2005 zu klingen. 'Non Toxique Lost' sind eine Band, die es definitiv wiederzuentdecken gilt. Und ausnahmsweise liegt das britische Magazin "The Wire" einmal daneben, wenn es meint, es wäre nicht verwunderlich, daß sich Achim Wollscheid nicht mehr fuer seine alte Band interessiert. Denn so spannend wie diese CD hat eigentlich schon lange nichts geklungen.

ogre-sse, LP, 'Zores auf Radio Z', 7.3.2006
ogre-sse

Platten, die bei Vinyl on Demand rauskommen, sind als Wiederveröffentlichung meist nicht neu, aber es gab sie so oft auch gar nicht. Es langte damals grad' zu Cassetten. Ein Spiel mit Paradoxien, das zurückverweist auf die Zeit, die in Erinnerung gerufen wird und sich gelegentlich in ihren Produkten als erstaunlich virulent erweist, allen stattgehabten Entwicklungen und Nivellierungen zum Trotz. Die Einstürzenden Neubauten sind inzwischen Kulturbotschafter der Bundesrepublik Deutschland geworden, Throbbing Gristle geben wieder Konzerte. 'Non Toxique Lost', mit dem nicht so einprägsamen Namen, nahmen nach längerer Auszeit aktuell neues Material auf. Damit ist auch schon assoziativ die Ästhetik umrissen: Industrial, im ziemlich konkreten Sinn des Wortes, als Wahrnehmungsproduktionsmaschine und Referenzebene. LOST ist übrigens ein deutsches industrielles Produkt, eine Pioniertat auf dem Giftgaswesen und im 1. Weltkrieg zum Einsatz gekommen... "Der Tod des Soldaten ist beschlossene Sache" "And what is rock´n roll all about? It´s about fucking, and fucking, and..." Die Zeit geprägter Sätze, finsterer Statements, der Versuch, die glänzende Fassade der Kulturindustrie niederzureissen und die Maschinerie der Entfremdung dahinter freizulegen, Blut Schweiss und Tränen derer zumindest, auf deren Kosten der versprochene Spass geht. "style ist irrelevant" - das wenigstens ist eine inzwischen weit verlorengegangene Haltung 
und trifft sich doch mit dem aktuellen sweatshopkritischen "Made in Hell" zum Weltfrauentag. Letztlich arbeiten wir alle der Hölle ein wenig zu, aber niemand muss sich auch noch dafür begeistern. Fun wiederum ist ein Stahlbad, und von denen, die sich da reintrauen, lernen Einige sich da drin ganz munter zu bewegen und ihre Spielchen zu machen. Es gibt eben kein richtiges Leben im Falschen. Aber für den Augenblick war es richtig, notwendig und insgesamt vergeblich. Mit gelegentlichen Gästen arbeiteten sich Achim Wollscheid (Git, synt); S. Schütze (Violine, b) und Sea Wanton (Ges, electr) durch ihre Rhythmusgewitter, traten u.a. 1983 beim wohl einigermassen legendären Berliner Atonal 2 Festival und andernorts auf. Je ein track dieser Platte zeugt davon, nämlich von Frankfurt 1984 und Amsterdam 1985. Ansonsten gabs einige Tapes und kurz vorm Aufschlagen der neuen deutschen Welle ein Vinyl in Kleinstauflage von Sea Wanton.
Erst neuere Hardtechnoveröffentlichungen von Chrislo Haas (Ex-DAF, ex-Liaison dangereuses) ermunterten Mitglieder der Band zu einem Neuanfang, der sich in inzwischen bereits zwei Tonträgern niedergeschlagen hat. "Ogre-sse" von 'Non Toxique Lost', grossartiges und erstaunlich unverbrauchtes Material, bleibt wohl was für SpezialistInnen, für FreundInnen von Hingabe, Schmerz, Wut, Trauer, Aggression und politischem Interesse, inzwischen wohl auch
Nostalgie und einem deswegen um so notwendigeren kühlen Kopf.... Anspieltipps 'Non Toxique Lost': Der Tod des Soldaten, Zufrieden, Ga leschi gambi, Wer keinen Schmerz mehr spürt, Kriegstanz
 
 
ogre-sse, LP, clubbing.slask.pl

Coraz czesciej najrozmaitsze wytwórnie zgodnie z panujaca moda powrotów do korzeni wydaja na nowo klasyki, nierzadko opatrzone dodatkowo "modnymi" remixami. Vinyl-On-Demand jest jednak nieco innym typem wytwórni, specjalizuje sie, bowiem przede wszystkim w wypuszczaniu na rynek starych nagran, które nie mialy szczescia byc wydane w swojej "mlodosci". Na ich plytach odnajdziemy, zatem mroczne lub innowacyjne utwory twórców niemieckiej, industrialnej badz experymentalnej sceny, z lat 70-ych i 80-ych. Czasami równiez w katalogu mozna odnalezc
dzwieki takich odmian muzyki jak noise czy wave. Jako 13 wydawnictwo ukazal sie album grupy 'Non Toxique Lost'. Zawiera on 13 zremasteringowanych na nowo tracków, nagranych w latach 1983-85. Jest to pozycja o tyle unikatowa, ze jedynie czesc z tych utwórów ukazalo sie kilkanascie lat temu na kasetach, jednakze znaczna wiekszosc pochodzi z koncertów grupy i nigdy nie zostala wydana. Jesli chodzi o warstwe muzyczna, mamy do czynienia z "czyms" (jak sami twórcy okreslaja) w rodzaju "primal industrial-punk", który brzmi nie mniej wiecej jak noise, co sprawia, ze do tej plyty trzeba podejsc w odpowiadni sposób. Byc moze wlasnie nieprawidlowe podejscie niektórych osób jest powodem, dla którego ten gatunek ma raczej wiecej przeciwników niz zwolenników. Jednak podazajac za mysla jednego z bardziej znanych twórców noisu (Masami Akita aka Merzbow), jesli spostrzezemy pop jako pewnego rodzaju "uporzadkowany halas", wnet, jakikolwiek dzwiek równiez bedzie mógl byc uwazany za muzyke. Takie rozumowanie zdecydowanie bardziej przybliza nam ten material. Pierwsze dwa utwory pochodza z koncertu w Amsterdamie z 1985 roku.
"Der Tod Des Soldaten" jest polaczeniem urywanych glosów, zakurzonych szumów rezonansu radiowego oraz wszelkiego rodzaju przesterowanych szmerów. Co ciekawe ów track zawiera nawet rytm, który jest rzadkim gosciem na tym albumie. Za jego odliczanie odpowiedzialne sa ordynarne, industrialne uderzenia. Podobnie rzecz sie ma z nastepnym nagraniem, z tym, ze jednak klimat w nim zawarty nie jest juz tak gesty i smolisty jak u jego poprzednika. Z poczatku glównym motywem wydaje sie byc turkot pociagu, któremu towarzyszy odglos metalowego gongu oraz róznych krzyków. Nastepnie track odkrywa przed nami ladne tla, staje sie wrecz melodyjny. Innymi ciekawymi utworami sa niby-ebm'owy "Wer Keinen Schmerz Mehr Spürt" posiadajacy ladne
fortepianowe zakonczenie, a takze bardzo agresywny "Kriegstanz". Calosc w mniejszym lub wiekszym stopniu wydaje sie byc odzwierciedleniem industrialnych odglosów, przez co album ten brzmi bardzo metalicznie i niejednokrotnie ciezko. Nasi bohaterowie zadbali równiez o typowe nagrania zaopatrzone w wysokie czestotliwosci, dzieki którym moga w bardzo szybki sposób przyprawic swych sluchaczy o ból glowy, sa nimi, np. halasliwy "Montmartre" czy wyjaco-piszczacy "Jedes Wort Ist Wahrheit". Mimo wszystko zaliczam te pozycje do grona ciekawych, niedbalosc o rytm lub jego czestokrotne zupelne pominiecie - topi wszelkie nadzieje na tanecznosc, praktycznie kompletny brak jakichkolwiek wpadajacych w ucho motywów pozwala spojrzec na te muzyke z nieco innej perspektywy. Na pewno jest to swego rodzaju skrajnosc, lecz warto jej skosztowac.
Tracklista:
A1 Der Tod Des Soldaten
A2 Zufrieden
A3 Hair
A4 Der Läufer
A5 Ga Lesch Gambi
A6 Jedes Wort Ist Wahrheit
B1 Einsicht (A Suivre)
B2 Wer Keinen Schmerz Mehr Spürt
B3 München Um 6
B4 Montmartre
B5 Pdg
B6 It's Because
B7 Kriegstanz


ogre-sse, LP, 'Back Again'

'Non Toxique Lost' existiert als musikalisches Projekt bereits seit 1982 und kann unter anderem auf einen Auftritt bei einem der legendären "Berlin Atonal"-Festivals der damaligen Zeit zurück blicken. Auch mit dem bekannten Staalplaat-Label wurde zusammen gearbeitet und nun hat Vinyl-On-Demand (wer auch sonst?) eine LP der Gruppe zusammen gestellt, die sich in die Reihe vieler Tapes und einiger Vinyls und CDs einreiht. Auf der Homepage der Gruppe findet sich gleich am Anfang der 
Hinweis "in memoriam: John Peel, Chrislo Haas, John Balance", was den Besucher zum einen schmerzlich daran erinnert, dass drei wichtige Figuren der Underground- Szene in kurzer Zeit von uns gegangen sind (man hätte vielleicht auch noch Fad Gadget erwähnen können...) und zum anderen einen Hinweis darauf gibt, dass man es hier mit ambitionierten Independent-Künstlern zu tun hat. Wieder einmal ist die Platte in eine schön gestaltete Hülle verpackt und zusätzlich gibt es ein 20seitiges DinA5-Booklet mit Bildcollagen. Musikalisch bewegt sich 'Non Toxique Lost' im damals gern begrasten Feld der Harmonie-Zerstörung, das heißt, übliche Songstrukturen werden gnadenlos aufgelöst und durch pure Klänge ersetzt, ähnlich, wie die Einstürzenden Neubauten, Die Tödliche Doris, P16.D4 oder Sprung Aus Den Wolken und unzählige weitere, unbekannt gebliebene, Bands es in unterschiedlicher Art und Weise praktiziert haben. Auch die ganz frühen Controlled Bleeding oder, in etwas strukturierterer Form Foetus sind nicht so ganz weit weg. Die frühen Liveaufnahmen von Psychic TV kann man ebenfalls vorsichtig als Vergleich heranziehen. Wer sich vorher nie mit solchen Klängen auseinandergesetzt hat, wird die Aufnahmen auf dieser Platte wahrscheinlich nur für puren Krach halten. Wenn man aber die damalige Zeit bewusst miterlebt und sich mit ihr beschäftigt hat, wird einem klar, dass wohl nur damals solche Aufnahmen entstehen konnten und ihren Sinn hatten. 
Heute muss man das natürlich eher als Zeitdokument sehen, aber damals war bei vielen Jugendlichen das Lebensgefühl düster und destruktiv und das wurde in Klänge umgesetzt. "Ogre-Sse" ist keine leicht zu verdauende Platte, zum nebenbei Hören ist sie sowieso nicht geeignet, aber dafür eine ausgesprochen spannende. Und wenn ich dann sogar noch bei den Danksagungen auf dem Cover entdecke, dass offenbar mein alter Freund Peter Klum (siehe die Band Jean Gilbert auf dem "Schau Hör Main Herz Ist Rhein"-Sampler) an einem Track mitgewirkt hat, dann reihe ich die platte doppelt gerne in meine Sammlung ein. (A.P.)


ogre-sse, LP, 'www.punk-ist-wie-ne-religion.de'

Aufnahmen von 1983-85, wenn überhaupt damals nur auf internationalen Cassetten-Samplern erschienen, also, die kannte selbst ich bis dato nicht. Dieser Frank Maier von VOD (=VINYL-ON DEMAND) bringt einfach unglaubliche Sachen auf Vinyl, hat nix mit Nostalgie zu tun, vielleicht kommen wir in Deutschland schon bald wieder in eine Art Berlin-Wall-Krieg-in-den-Städten-Stimmung, aber dann nicht nur in Berlin, sondern überall. Wer weiß? 'Non Toxique Lost' jedenfalls ist hypnotischer Industrial-Punk d er allerersten Güte, das will ich Euch sagen! Textprobe: 'Der Tod des Soldaten ist beschlossene Sache' (aus 'Der Tod des Soldaten'). 'And What is Rock'n'Roll all about? It's about fucking, and fucking, and...' (aus 'Einsicht') oder 'Redundante Information Wir wollen keine Gewalt Informationsdefizite Wir wollen Konfrontationen vermeiden
Nachrichtenwert Wir sind effizient Kopflose Kommunikation Werden wir angegriffen Moderne Technologien Wehren wir uns neu und Wahrheit Wir sind zufrieden...We are satisfied...Wir sind zufrieden (aus 'Zufrieden'). Der Sound ist einfach genial, aber Vergleiche mit Sprung aus den Wolken oder Neubauten hinken irgendwie auch. Hart, gut, hypnotisch, unbeschreiblich. Das bekommt im Jahre 2005 eine ganz neue Bedeutung. Hat nichts mit Nostalgie zu tun. Eher mit Zyklen, die Noam Chomsky kürzlich ansprach. Aber das würde jetzt hier zu weit führen. Wichtige Platte, wichtiges Label. Es müssen noch einige Sachen zu Ende geführt werden...


ogre-sse, LP, 'Bad Alchemy 7/2005'

Ogre-Sse (VOD13, LP) ist nach Terre et argent auf Wachsender Prozess (-> BA 46) die bereits angedeutete zweite Wiederkehr der Postpunk-Experimentalisten 'Non Toxique Lost'. Von der Formation aus Sea Wanton, Pogo, Steffen Schütze & Achim Wollscheid wurde weiteres Studio- & Livematerial zur Neugewichtung vorgelegt, darunter Ausschnitte ihrer Auftritte beim Berliner Atonal 2 (2.12.83), im Geminox, Frankfurt (9.6.84) und vom kontroversen Gastspiel in Amsterdam (4.10.85). Es gibt Überschneidungen, wobei man den 'Kriegstanz' gar nicht oft genug hören kann.
Auch 'Zufrieden', 'ga leschi gambi' und 'Wer keinen Schmerz mehr spürt' verbrauchen sich beim
Mehrmalshören nicht, im Gegenteil. NTLs Beitrag zum programmatischen Nonkonformismus
jener Jahre, die Weigerung, "in das miese, vorgefertigte System der Idioten einzusteigen"
(wie der Pressetext zum Atonal 2 verlauten ließ), bestand darin, fremde Sprachen im eigenen
Unland zu sprechen, verzerrte Phrasen wie 'Der tod des soldaten' (ist beschlossene Sache),
der paradoxe Schrei (oder was ist das sonst, wenn man "wir sind zufrieden" brüllt
wie auf kleiner Flamme geröstet?), das Wortspiel: "'hair' (seid ja so allein c'est l'anarch...qui? hair et lutter)", dazu undeutsch polyglottes Gestammel: 'ga leschi gambi' ... and what is rock'n roll all about?... qui c'est la neige qui c'est la reve... it's because... you dream.. about fucking, and fucking, and... musik musik musik mein ganzes leben ist...verstümmelt ist der leib der schrei rast um die welt'.
Ein Schrei, eine Power und eine kreativ-expressive Verve, die in ihrer gleichzeitig zähnefletschenden
Over-the-topness und fast schon wieder lakonischen Kakophonie heute Ihresgleichen schwer fände,
zumindest im Inland. Wollscheid erinnert sich: "Es war ne seltsame Zeit, damals. Die Lebensenergie,
gleichzeitig eine Gleichgültigkeit gegenüber irgendwelchen Standards, auch ne gewisse Arroganz
denen gegenüber, die es angeblich besser konnten oder wussten..." Federführend für die Retrospektiven ist allerdings weder der Selektions-Macher in Frankfurt noch Schütze, der damals den Spagat zwischen Whitehouse und Josef Anton Riedl beherrschte und der heute angeblich nochmal ein Studium aufgenommen hat. Treibende Kraft ist Wanton, der, inzwischen in Berlin, NTL am Leben gehalten und für 2006 sogar ganz neues Material in Vorbereitung hat. Für nächstes Jahr ist auch die vollständige Veröffentlichung der Atonal-Attacke geplant, mit Artwork von Schütze und Fotos, Statements, Reminiszensen alter Weggefährten sowie Rezensionen. Was hat Adi Atonal damals verkündet? "Die stinkenden Versuche eingebildeter Zyniker und Charaktermasken in den Medien und hinter den Kulissen, mit Businessmethoden jeden Ansatz, etwas anderes zu tun, kaputt zu kriegen, werden überlebt." Nun, einige von uns haben sich dieses Überleben in die heutige "unübersichtliche (oder, besser, undurchfühlbare) Zeit", wie Wollscheid so treffend anmerkt, doch etwas anders vorgestellt. Wie sagte Pinguin Sr. kürzlich zu seinem Sprössling: "Als ich noch ein Adler war..."

ogre-sse, LP, 'Testcard #15'

'Non Toxique Lost' haben sich der weil jeglicher Genrezuweisung ent-
zogen, auch wenn man ihre atonalen, dunklen Collagen möglicherweise
einmal dem Industrial zugerechnet haben mag. Ähnlich wie ihre Mainzer
Kollegen P16.D4, zu denen es auch personelle Überschneidungen gab,
waren 'Non Toxique Lost' allerdings mehr am Ausloten von musikalischen
Grenzen gelegen. Restformen von Songs (ein permanent intoniertes
und natürlich völlig unglaubwürdiges "Wir sind zufrieden!") und Löcher
fressende Synthies fassen die ganze damalige Wut, Fassungslosigkeit
und Lust an Konfrontation in einem akustischen Donnerschlag zusam-
men. Rigobert Dittmann erklärte dies kurzerhand zu "trashigen Vor-
läufern von Atari Teenage Riot"‚ womit Letzteren eigentlich
ziemlich geschmeichelt wird, hatte deren Wut doch bereits eine eng abgesteckte
Form angenommen, der sich 'Non Toxique Lost' konsequent verweigerten.

 


terre et argent...und rechts das cover der 2.ten edition....terre et argent
terre et argent, LP, 'virb.com'

NON TOXIQUE LOST
»Terre Et Argent« LP, 2te Edition
Reduktive Musiken
'Non Toxique Lost'’s LP-Wiederveröffentlichung alter Kassettenpublikationen, aufbereitet mit geschmacklich hochwertigem Siebdruckcover in Eigenherstellung Reduktive Musiken und der Wachsende Prozess zeigen mit dieser Veröffentlichung einen angenehmen Weitblick, zumal Reduktive Musiken wenig Vinyl aus dem eigenen Hause anbietet. »Terre Et Argent«, ein Paradebeispiel wie Achtzigerindustrial klingt, bietet neben übersteuerten Gitarrenformationen, geräuschhaften Synthesizerläufen und einer Unmenge an Delays und weiteren DIY-Effekten eine Vielzahl noisiger Klangwerke, deren Rhythmik und musikalische Akzentenbetonung teilweise an die frühe Neuzeit herankommt und die Einstürzenden Neubauten in Längen schlägt. Während die Instrumentale eine gewisse Charmehaftigkeit und Raffinesse beinhalten, sind die teilweise in extremer Manier verzogenen Schlagwortkanonaden des NTL-Vokalisten seltsam gedämpft in den Hintergrund gepaart mit dem Effekt, dass man jegliche Vokalität gedanklich den industriellen Synthesizerschamanentänzen zurechnet, die einen hier empfangen. Apropos: überhaupt ist die NTL-Platte ein eigenes klangliches Biotop, welches sich über diverse Musikrichtungen hinwegsetzt: miasmatische Synthesizerschlieren, torpedoartige Gutturalnoiseelemente und der teilweise verblüffende Einsatz geradliniger Schlagzeugrythmen. Um ansatzweise den ersten Titel zu rezitieren: eine mehr als (zufrieden)stellende Platte.

 
 

terre et argent, LP, punk-ist-wie-ne-religion

'This was a lot of fun, especially if you did it yourself.
But in the end, it got on the audience's nerves.' Lorenz Lorenz

Nachdem ich erst 20 oder 25 Jahre später 'Non Toxique Lost' durch die auf VOD releaste LP OGRE-SSE kennen, hören und schätzen gelernt habe, kann ich Euch nur wärmstens die TERRE ET ARGENT LP von NTL empfehlen. Sämtliche Aufnahmen erschienen seinerzeit nur auf raren Tapes, und auch diese LP hier wird schnell vergriffen sein, daher: watch out!

Das Projekt um Sea Wanton, Achim Wollscheid (S.B.O.T.H.I.), Cem Oral (später bei AIR LIQUIDE)
und anderen braucht sich meiner Meinung nach nicht hinter Vergleichen mit THROBBING GRISTLE, THE CRASS oder SPK verstecken. Aber da selbst mir NTL damals dadurchgegangen sind, wissen auch andere Krach-Liebhaber manchmal gar nichts von der Existenz dieses wichtigen Materials. Wird oft als Industrial-Punk bezeichnet, weil sich im Noise durchaus politische und gesellschaftskritische Manifeste verbergen, also keine sinnentleerte Avantgarde, wie sie in heutigen Zeiten oft missverstanden wird.

'Die Nadel durch den Kopf
heraus spritzt Schmerz und Blut
Der Schrei brüllt durch die Welt
Wer diesen Schmerz verspürt
Die Grenze ist erreicht
Der Schmerz schlägt um in Lust
Ein Schrei jauchzt durch die Welt
Wer keinen Schmerz mehr spürt
Der Körper geht kaputt
Die Schaukel schwingt langsam aus
Verstümmelt ist der Leib
Der Schrei rast um die Welt
Der keinen Schmerz mehr spürt'

Die Tracks 'Zufrieden', 'Wer keinen Schmerz mehr spürt' und 'Kriegstanz' sind auch auf der OGRE-SSE vertreten, allerdings in anderen Versionen. Ansonsten empfehle ich dringend das laute Hören von Tracks wie 'Mit Rita über die Gleise', 'Ich sah Hanoi sterben' oder 'Nach der Arbeit'. Also, diesen bedrohlichen Gristle-Synthesizer find ich einfach genial, weil er viel schneller pulsiert als bei TG. Hammer-Sound, der viel freisetzt. Bei mir zumindest...


terre et argent, LP, 'Bad Alchemy #46', 2005

Das Sichten der Bestände geht weiter. Gleich zwei Labels bemühen sich um das Archivmaterial der Mainzer NDW-Obskurität 'Non Toxique Lost'. Das war 1982 eine weitere Schraubendrehung von G. Neumann aka Sea Wanton gewesen, der im Jahr zuvor mit Joachim Stender in Messehalle gespielt
hatte und, als Stender ausstieg, um bei P.D. mitzumischen, mit No Aid in der Postpunksuppe rumgerührt hatte. Wanton schrieb damals auch Kassettenreviews für Sounds und brachte die Fanzines Handbook Of Fun und Gute Unterhaltung heraus. Als Megaphon von NTL tobte sich Peter Prieur aus, genannt Pogo, Frontmann der Suburban Punx, und ebenso wie Steffen Schütze, der zuvor in Jean Gilbert rumdilletiert hatte und hier Violin- & Steeltubesounds beisteuerte, ein fanatischer Fan von TG und Genesis P-Orridge. Vervollständigt wurde NTL durch den Kunststudenten Achim Wollscheid, zuvor bei den Edelweißpiraten, später S.B.O.T.H.I. & Selektion-Macher, der Wantons Synthesizer-, Sequenzer- & Tapemachinenoise mit den Verzerrungen seiner Fendergitarre flankierte. Mit der giftigen Anspielung auf das im 1. Weltkrieg so verheerend eingesetzte Senfgas Lost, verband sich eine kulturindustriell inkompatible Bissigkeit, klanglich der Drall zur Kakophonie, optisch
verdächtige Harmlosigkeit. Schon die ersten, in Pogos Bude aufgenommenen Ejakulate wurden auf Schützes Kassettenlabel Neuer Frühling veröffentlicht. Wüste Gigs folgten, in Frankfurt (mit Der Plan), auf dem Atonal ‘83 in Berlin, sogar in London (mit Bourbonese Qualk). Bei zwei 1985 von Staalplaat organisierten Auftritten in den Niederlanden (mit P16.D4) mischten Cem Oral (heute eine Elektrogröße als Jammin‘ Unit & Air Liquide) und Heiko Wöhler mit. Die einzige LP zu Lebzeiten hieß Wanton und kam 1986 heraus. Die beiden Dossier-CDs /bin/med/usa & siga siga haben schon Dokucharakter. Wollscheid beschrieb NTLs ‚Nicht‘-Stil nachträglich mit „kein Rock, kein Punk,
keine Experimente, kein Recycling und keine Improvisation... - oder ein bisschen von allem, zu einem dicken Gemisch verdichtet, falls erforderlich.“ Distinktiv an NTLs Gebräu aus Wave & Industrial, wie man es nun auf Terre et argent (Wachsender Prozess 07, LP) serviert bekommt, war auf jeden Fall der Impetus, die versteinerten Verhältnisse aus sozialdemokratischer Staatsraison und konservativer Wende aufs Korn zu nehmen mit Gerade-noch-Songs wie ‚Zufrieden‘, ‚Nach der Arbeit‘, ‚Was ihr braucht‘, ‚Eigentlich sind wir gut‘ und ‚Ich sah Hanoi sterben‘, geprägt von Pogos Sprech- & Schreigesang und Texten, die ihre Parolen mit sarkastischer Sophistication rüber brachten. Der rhythmische Vorwärtsdrang hatte durch die schrill slashenden Noisefetzen von Synthies, Gitarre und Violine immer was Giftig-Aggressives, das Nightmare-on-Lindenstraße-mäßig gegen die wachsende Restzufriedenheit sichelte. ‚Kriegstanz‘ live kommt rüber wie eine Over-the-Top-Version von P16.D4s ‚Tanzmusik‘. Für das Elend, das heute in den Köpfen grassiert, kommt die Wiederbegegnung mit solch trashigen Vorläufern von Teenage Atari Riot, die auch vom Zeitgeist längst weggespült wurden, zu spät / zu früh. Zwischen Jens Friebe und Franz Ferdinand gähnt der müde Tod ein Loch in die Tagesordnung der grauen NVA-Socke, das kein Sido, kein Von Spar stopfen kann. Wer keinen Schmerz mehr spürt...


siga siga.......siga siga
siga siga, CD, Auf Abwegen

NON-TOXIQUE LOST weigern sich nach eigener Aussage "in die behagliche Gleichgültigkeit zurückzufallen, die von der Kulturindustrie so hoch belohnt wird". Mit Adorno im Kreuz reimt es sich gleich viel besorgniserregender; so nehmen sich die tracks von NTL auch angst- und energiegeladen aus. In einem Stil, den ich mal als psychedelischen Electro bezeichnen möchte, werden Stimmungen kreiert, die anklagen, aufwühlen und beunruhigen. Eines tun sie auf keinen Fall: beruhigen und einlullen. Für Chomsky-Fans !

siga siga, CD, dorfdisco, 2005

'Non Toxique Lost' - "Siga Siga"-cd (Dossier) und " /bin/med/usa"-cd (Dossier)
Eine Formation so sehr für Kenner, dass selbst unsere Anfragen keine Anworten bringen.'Non Toxique Lost', die sich ihrer Sage nach 1982 auf einem Throbbing Gristle Konzert in Frankfurt gegründet haben und in der ganzen Zeit ein paar relativ unbeachtete CDs und einen Haufen noch
verschütt gegangener Kassetten releast haben (sie waren sogar auf Atonal 2 in den Pankehallen dabei) führen genau das aus, wovon mitlerweile bis in die U-Bahn geworben wird: experimentelle 80ger, authentisch, mit der ganzen Fläche gegen die Kultur, von der sie sich ihre charakteristischen Schrammen einfährt. Hier stehen die Töne noch auf dem Punkt, bewegungslos und trotzdem von fern hypnotisierend, da werden synthetische Töne zerhackt, eingeblendet oder mit Monsterbeats in Gang gesetzt, die sich genauso zusammenhangslos benehmen, wie das ganze musikalische Korsett sonst.
Dennoch, das ist nicht beliebig, das ist Kunst ohne künstlich zu sein. Das Ganze geht wie eine bizarre Meditation mit dadaistisch von der Wand gerissenen Texten (Ruft an, ruft an), die gebetsmühlenartig um den Fernsehturm getragen werden. Eine zweite, neue CD namens bin/med/usa ist ebenfalls auf Dossier erschienen, welche aber mehr mit elektronischen Flächen arbeitet und insgesamt gefälliger und weit weniger experimentell als Siga Siga dahaherkommt. Beide Releases sind ideal für Quereinsteiger, Zeitkiffer und Ohrfetischisten sowie sogenannte Kulturarchäologen die heute noch die 80ger suchen und meinen wo im Prenzlauer Berg gefunden zu haben. mal einen Gang der extraordinären Klasse kredenzen wollen.)